Rollende Köpfe, Raimar Stange, artmagazine, 2016
Das Kollektiv Bankleer überzeugte bereits 2014 auf den Wiener Festwochen mit ihrer theatralischen Eröffnungsaktion und beim letztjährigen Steirischen Herbst zählte ihre Installation bei „rotor“ zu den wenigen Highlights. Jetzt bespielten sie 11 Tage lang den Münchner Max-Joseph-Platz mit ihrem Projekt „Die Irrenden. Europäische Defigurationen“. Da stehen drei überdimensionierte, vom Körper abgetrennte Politikerköpfe – die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, EZB-Chef Mario Draghi, Haiti-Sklavenaufstand-Führer Dutty Boukmann – und ein Megaphon aus grauem Styropor und kaschierter Pappe auf dem Max-Joseph-Platz, dazu ein begehbarer Container, in dessen Innerem ein idealisierter „psychologischer Archetyp“ zu entdecken ist. Dieses Setting, symbolträchtig umgeben von Residenz, Nationaltheater, Altstadt und Edelläden a la van Laack, Prada und Bogner, dient dem Künstlerkollektiv Bankleer als klug positionierter Ausgangspunkt für ihr absurd-aufklärerisch-agitatorisches Stück, für so irritierendes wie amüsantes Straßentheater.
Die Köpfe, bzw. die Schauspieler, die während der Aufführung in ihnen Platz genommen haben, beginnen sich also zu unterhalten, reden über die europäische Wirtschaftskrise, über den eventuell anstehenden Brexit und vor allem über die Allmacht der neoliberal-globalisierten Ökonomie. Die vielschichtige Textcollage setzt sich zusammen aus Passagen z. B. von Ovid, Alain Badiou, Slavoj Zizek und Friedrich Schiller. „Die Vernunft des globalen Kapitals bringt die Demokratie zum Schweigen“ etwa ist da zu hören, oder: „Die Finanzströme lassen uns hinter sich“, oder: „Ich muss dabei helfen, gemeines Recht zu übertreten“. Immer wieder suchen die sich inzwischen bewegenden, gleichsam „rollenden Köpfe“ auch den Kontakt zu den Zuschauern, die erstaunt dem Spektakel beiwohnen, Fotos machen, zuweilen sogar kurz tanzen und dann auf die Fragen der Köpfe zu antworten beginnen. Schließlich wird unisono von Publikum und Schauspielern „Uns geht es gut“ skandiert. Schwer fällt es den nun nicht mehr passiven Zuschauern die Aktion einzuordnen: Handelt es sich um eine Aufführung des naheliegenden Nationaltheaters, um eine Art verspäteten Karneval oder gar um linken Krawall? Gerade diese Offenheit ist eine Qualität von „Die Irrenden. Europäische Defigurationen“.
Währenddessen hat sich besagtes Megaphon, das auf einen Fahradkarren aufgebracht ist, auf eine Tour in die nähere Umgebung gemacht, und beschallt die zahlreichen Passanten in Münchens City mit einem Mix, arrangiert von Patric Catani, aus Musik, Sound und Text. Auch hier steht die Conditio unserer vom Kapital beherrschten „Postdemokratie“ (Colin Crouch) zur Disposition – einer betrunkenen Reisgruppe gefällt dieses gar nicht. Aber nicht nur ihnen stößt Bankleers Projekt, das ganz offiziell im Rahmen des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ des Münchener Kulturreferats stattfindet, übel auf, so dass während der Laufzeit des Projektes die Polizei meint des Öfteren vorbeikommen zu müssen, dem mobilen Megaphon wurde zudem gerichtlich untersagt während seiner Tour stehenzubleiben.
Insgesamt ist Bankleer mit „Die Irrenden. Europäische Defigurationen“ eine Kunst im öffentlichen Raum gelungen, die weit intelligenter und engagierter ist, als die leider immer noch sonst allzu oft übliche „Stadtmöbelisierung“, die nicht mehr vermag als das Abstellen mehr oder weniger großer Skulpturen. Bannklees Projekt ist ein wohlkalkulierter Hybrid aus Straßentheater etwa in der Tradition von Erwin Piscators „roter Rummel Revue“, und mobilem Denkmal, aus comichafter Trashkultur und intellektuellem Diskurs, aus Demonstration und Klamauk. Bildende Kunst wird dabei zu einem temporären und ortsbezogenen Engagement, im wahrsten Sinne des Wortes, das sich selbst in sozialer Verantwortung sieht und bewusst sich nicht als Werbung für den Standort München missbrauchen lässt.